Jahreskonzert des Verbandsjugendorchesters 2009

Kurzweiliges Jahreskonzert vor vollem Haus

Ein begeisterndes Konzert, sicherlich eines der besten in seiner nunmehr 18jährigen Geschichte, präsentierte das Verbandsjugendorchester Germersheim am 24. Januar in der bestens gefüllten Stadthalle. Spürbar noch mit der Euphorie des im vergangenen November beim internationalen Jugendblasorchester-Wettbewerb „BW-Musix 2008“ in Friedrichshafen errungenen zweiten Platz in der Höchsttufe im Rücken, boten die rund 60 bestens aufgelegten Musiker ein ebenso anspruchsvolles wie ansprechendes Programm und zeigten darüber hinaus, zu welch großartigen Resultaten eine auf lediglich zwei Wochenenden ausgedehnte, intensive Probenarbeit führen kann.

Passend zum Titel versetzten die Musiker bereits mit der einleitenden Huntingdon Celebration von Philip Sparke ihr Publikum in Feierlaune – zum einen wegen des nahezu volkstümlichen Charakters dieses Werkes, das zum zehnjährigen Bestehen des Orchesters von Huntingdonshire im Osten Englands im Jahre 2003 entstanden war, zum anderen und vor allem wegen der leichtfüßigen Virtuosität, mit der man das Hauptthema des Werkes ausgehend von den Holzbläsern an die übrigen Register weiterreichte und die kantable Choralmelodie integrierte.

Die gehobene ‚Tanzmusik’, so bewiesen die Konzerte der vergangenen Jahre, bildet eines der Steckenpferde des Orchesters, kann man hierbei doch Spielfreude und Virtuosität besonders unter Beweis stellen. Anknüpfend an das Debüt von Fabian Metz als Dirigent im Jahre 1996 erklangen noch einmal die fünf Teile umfassenden Armenian Dances – Part I von Alfred Reed, die die Musiker gleichzeitig zu ihrem Selbstwahlstück bei besagtem Wettbewerb in Friedrichshafen bestimmt hatten. Freude und Leidenschaft waren förmlich greifbar, mit der man diese äußerst vielseitige und lebhafte Musik interpretierte und dabei in den abschließenden Galopp mündete, der die Zuhörer schon frühzeitig beinahe von den Sitzen riss.

Die Flexibilität eines Orchesters zeigt sich unter anderem in der Fähigkeit, von einem Stück zum nächsten möglichst schnell umzuschalten und den Charakter des folgenden Werkes adäquat zu treffen. Nun ist zwar kaum ein größerer Kontrast zwischen den eben gehörten furiosen Tänzen und dem Lacrimosa von Thomas Doss denkbar – einem Stück, das klingendes Denk- und Mahnmal gegen den Krieg im Allgemeinen und dem Konflikt in Bosnien-Herzegowina zu Beginn der 1990er Jahre im Besonderen sein soll; das Orchester löste diese schwierige Aufgabe jedoch souverän und mit einer unter die Haut gehenden Intensität. Lacrimosa stellt sicherlich eines der ungewöhnlichsten Werke im Repertoire des VJO dar, zumal die Töne und Klänge in diesem Stück nicht ‚bereitliegen’, sondern erst allmählich entstehen und ihre Wirkung entfalten. Faszinierend zu hören, wie Wehklagelaute der Flöte und düstere Glockentöne über einen langsamen, clusterartigen Aufbau erst zu einem steten Klang und zu einem tonalen Zentrum (hier g-Moll) werden und wie die jungen Musiker dieser Entwicklung in fast stoischer Ruhe nachzuspüren in der Lage waren. Mahnung und Anklage, Verzweiflung und nicht zuletzt auch ein wenig Hoffnung finden in Lacrimosa ihre musikalische Entsprechung durch Elemente der ‚Minimal Music’ wie kleinste motivische Bewegungen und pulsierend-penetrante Rhythmen, was dem gesamten Werk einen geradezu meditativen Charakter verleiht. Nicht zuletzt tragen die aufrüttelnden Fanfaren und die Posaunen-Glissandi des zweiten Abschnittes, eine groß angelegte Steigerung sowie die folgende plötzliche Stille zu der großartigen Wirkung der Komposition bei, die mit dem klagenden Largo des Anfangs schließt und damit genau zu dem „ergreifenden Stück für nachdenkliche Minuten“ wird, das sich der Komponist selbst in seiner Werkbeschreibung wünscht. Es waren ergreifende sechs Minuten – dank eines ungewöhnlichen Werkes und nicht zuletzt und vor allem durch seine Interpretation.

Quasi der Erholung diente das Stück Musica i poble, mit dem der junge spanische Komponist Ferrer Ferran (*1966) einem großen Musikmagazin zur 100. Ausgabe gratulierte und darüber hinaus südländisches Temperament und überquellende Lebensfreude in das winterliche Germersheim brachte. Die Musiker lehnten sich jedoch nicht einfach zurück, sondern stellten ihrem Publikum ein sehr interessantes Stück vor, in dem Beguine und spanischer Marsch eine Art Zwiesprache halten und am Ende eine gelungene Symbiose eingehen. Hier stach besonders das Zusammenspiel zwischen Holz- und Blechbläsern hervor, wogegen man sich die Solisten noch ein wenig zupackender und feuriger wünschen möchte.

Wenn Menschen begeistert und mit einer Gänsehaut das Kino verlassen, dann muss diese Gänsehaut nicht nur von der Handlung, sondern kann auch von der atemberaubenden Musik stammen, so z.B. von dem bereits erwähnten fünffachen Oscar-Preisträger John Williams, den man aufgrund seiner opulenten Partituren und seiner nach wie vor herausragenden Stellung unter den Filmkomponisten unserer Tage fast selbst als Außerirdischen bezeichnen möchte. Sein Soundtrack zu E.T.s Adventures on Earth ist auch nach gut 25 Jahren so frisch und unverbraucht wie am ersten Tag, zumal in Paul Lavenders kongenialer Umsetzung für sinfonisches Blasorchester und in der sehr ansprechenden Interpretation durch das VJO. Flirrende Flöten, hochvirtuose Klarinetten und Saxophone und ein fast überirdisch hohes, aber kultiviertes Blech – all dies und viel mehr gestaltete sich unter Fabian Metz’ umsichtigem und elegantem Dirigat zu einem rauschhaften Gesamtkunstwerk und hinterließ atemlos lauschende Zuhörer.

Ebenfalls von hoher Klangkultur geprägt war die große sinfonische Suite aus Leonard Bernsteins West Side Story. Hier konnte das Orchester – von ganz wenigen Intonationstrübungen in ‚entlegenen’ Blasmusik-Tonarten wie H- und E-Dur abgesehen – besonders in den schwelgerischen Momenten (Maria, One Hand, One Heart sowie am Ende) glänzen und den erforderlichen ‚langen Atem’ demonstrieren.

Ihr offizielles Programm beschlossen die Musiker mit George Gershwin, einer der schillerndsten Figuren des 20. Jahrhunderts und – ähnlich wie Bernstein – einem Bindeglied zwischen der ‚ernsten’ und der unterhaltenden ‚Sphäre’. Nun stellt Warren Barkers Arrangement nicht die Orchesterwerke vor, sondern lässt Gershwins Songs sprechen, die seine musikalische Herkunft symbolisieren und ihrerseits zur Keimzelle einer Rhapsody in Blue, eines American in Paris und natürlich von Porgy and Bess wurden. Auch hier gingen die Solisten des Orchesters noch ein wenig zaghaft zu Werke, doch demonstrierte man insgesamt eine sehr homogene Einheit, insbesondere in den beiden Eckstücken Fascinating Rhythm und I Got Rhythm, womit man dem Rhythmus, dem vielleicht prägendsten musikalischen Element des 20. Jahrhunderts, mehr als nur gerecht wurde.

In seinen herzlichen Dankesworten für alle an diesem Konzert Beteiligten hob Verbandschef Bernhard Reiß neben der großzügigen finanziellen Unterstützung noch einmal die Musiker selbst hervor. Diese stellen, so Reiß, nicht einfach nur ein Eliteorchester dar, sondern bilden die Spitze der mit großem Aufwand betriebenen Jugendarbeit im Verband und in den jeweiligen Vereinen selbst und stellen damit die hoffnungsvolle Zukunft der Blasmusik in der gesamten Region sicher.

Zwei nachdrücklich geforderte Zugaben – der spritzige, neu arrangierte Sternenbanner-Marsch von John Philip Sousa mit einem brillanten Piccolo-Solo von Yvonne Berdel sowie die immer wieder faszinierende und klangschön präsentierte Serenade von Derek Bourgeois – beendeten das diesjährige Konzert. Dessen Qualität ist umso höher anzusiedeln, als Dirigent Fabian Metz trotz der natürlichen Fluktuation seiner Musiker die Leistung auch heuer weiter zu steigern vermochte.  

Dr. Clemens Kuhn

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